Arbeitslager
– Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller
Thematisch sind die Romane und Gedichte Herta Müllers der diktatorischen Vergangenheit ihrer Heimat Rumänien verhaftet. Literarisch leben sie von der Poesie ihrer deutschen Muttersprache. Im Dezember 2009 erhielt die Autorin den Literatur-Nobelpreis.
Herta Müller hat es sich angewöhnt, in einem oberen Stockwerk zu wohnen. Noch heute in Berlin-Friedenau befolgt die 1953 im rumänischen Nitzkydorf unter deutschsprachigen Banatschwaben geborene Autorin das schützende Ritual. Es stammt aus einer Zeit, in der der Geheimdienst Securitate zu Verdächtigen nach Hause kam, um in privaten Sachen zu wühlen oder Kritiker des Diktators Nicolae Ceauşescu zu ermorden.
„Wir sind nah, die Zeit ist kurz“
Selbst nach ihrer Übersiedelung in die Bundesrepublik 1987 erhielten Müller und ihr damaliger Ehemann Richard Wagner Morddrohungen per Telefon, auch nach dem Sturz Ceauşescus noch. „Wir sind nah, die Zeit ist kurz“, lauteten die Botschaften, „hört auf, wenn euch das Leben lieb ist“. Sie solle nachts nicht mehr durch Parks spazieren, riet ihr der Bundesnachrichtendienst damals, nie zu Fremden in eine Wohnung gehen, und: „nie in einer Parterre wohnen“.
Auch wenn die anonymen Drohanrufe inzwischen ausbleiben, sind die Schatten der Vergangenheit für Müller trotzdem immer da. „Höher als jede Wand wächst das Misstrauen“, heißt es noch 2009 im Roman Atemschaukel (2009), der dem Staatsterror einmal mehr die melancholische Schönheit poetischer Sprache entgegen stellt.
Allgegenwart des Terrors
So hoch Hertha Müller literarisch auch in ihrer Sprache wohnt, so sehr hat sie sich thematisch in den dunklen Kellern der Diktaturen eingerichtet. Tatsächlich verfolgte sie das Grauen des Totalitarismus von Kindesbeinen an. Ihr Vater war ein ehemaliger SS-Mann, dessen Jähzorn sie fürchtete; die Mutter wurde als eine von 80.000 „Volksdeutschen“ zu fünfjähriger Zwangsarbeit in ein sowjetisches Arbeitslager deportiert. Sogar den Vornamen erhielt Müller von einer Freundin der Mutter, die im Gulag verhungerte.
Als Gymnasiastin war Müller loses Mitglied der regimekritischen Autorengruppe „Banat“. Eine Anstellung als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik verlor sie 1979 mit ihrer Weigerung, der Securitate als Spitzel zu dienen. Zu schreiben begann sie, „als ich mir nicht mehr anders zu helfen wusste, als die Schikanen gegen mich immer unerträglicher wurden“. Ihr Debüt Niederungen (1982) über das traurige Landleben der Banatschwaben durfte nur zensiert erscheinen – und verschaffte ihr unter Landsleuten zudem den Ruf der Nestbeschmutzerin.
Zermürbt von Verhören und privat „in die Einsamkeit hineingetrieben“, verließ Müller Rumänien im Winter 1987 mit zwei Koffern auf einem Traktor Richtung Westdeutschland. Trotzdem rissen die Beschimpfungen nicht ab. „Ihre Bücher müsste man verbrennen und sie selbst in ein Gefängnis werfen“, heißt es in einem Brief.
Wunden der Geschichte, Wunder der Geschichten
15 Jahre lang hätten Ceauşescus Schergen und deren Nachfolger „Menschenjagd an mir praktiziert“, wird Müller 2003 in ihrem Essayband Der König verneigt sich und tötet resümieren: eine Erfahrung, die sie unentrinnbar prägte. Das kann man Kritikern entgegen halten, die immer wieder forderten, mit einem Gegenwartsroman endlich in Deutschland anzukommen.
Die Grausamkeit der Vernichtungslager, die Korruption des Staatsapparates, die Folterungen und Morde, die bis zum Wahnsinn führenden Traumatisierungen des Einzelnen durch eine selbstherrliche Despotie – das ist bis heute der blutrote Faden, der Müllers illusionslos-schönsprachiges Gesamtwerk durchzieht: angefangen von der Erzählung Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt (1986) über die Romane Der Fuchs war damals schon der Jäger (1992) oder Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet (1997) bis hin zur aktuellen Atemschaukel.
Mittwoch, 10. Februar 2010
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